Unter der Weide

Es ist schon wieder ein Jahr vergangen.

Ein weiteres langes Jahr, das wie Wasser an mir vorüber fließt.

Einfach nur unwichtig.

Aufstehen. Frühstück. Arbeiten. Rumsitzen. Abendbrot essen. Schlafen.

Jeden Tag.

Immer das Gleiche.

Nein.

Nicht immer.

Manchmal bin ich auch hier und sitze auf unserer Bank. Auf der Bank von unserem ersten und letzten Kuss.

Der Ort, der uns am meisten verbunden hat....

Als ich umgezogen bin und hier in unsere Stadt kam, war ich total orientierungslos. Ich wusste nicht wo das Rathaus ist, geschweige denn die Schule. Ich stand am Bahnhof herum und habe versucht die Karte zu verstehen, die ich von der Info bekommen hatte. Ein Windstoß pustete sie mir ins Gesicht und ich bekam sie nur mit Mühe los. Leider war sie nun aber unbrauchbar geworden, denn in meiner Unachtsamkeit hatte ich sie zerrissen. Du sahst mich dort so verzweifelt mit den Teilen meiner Karte in der Hand und kamst herüber. Du fragtest mich mit deiner so tiefen und dennoch so sanften Stimme, ob du mir nicht helfen könntest.

So trafen wir uns.

Von dem Augenblick an, an dem ich dich sah und dich mehr und mehr kennenlernte, fing ich an, mich in dich zu verlieben.

Jedesmal wenn ich dich dann. Als mein Klassenkamerad mit den anderen Mädchen und Jungen zusammensitzen sah, wurde ich neidisch. Ich verstand mich selbst nicht wirklich. Denn verliebt war ich bis zu der Zeit noch nie. 

Und eines Tages passierte es wirklich. Du kamst in der Pause zu mir rüber und hast dich einfach neben mich gesetzt und einfach angefangen mit mir zu reden und zwar so, als würden wir uns schon ewig kennen. Ich war völlig verdattert und stotterte herum, aber nach und nach wurde ich lockerer.

Ein Jahr später fragtest du mich, ob ich dich auf den ABI-Ball begleiten würde und ich willigte ein. Ich war ja schon seit einem Jahr lang in dich verliebt und habe mich trotzdem nie getraut, dich zu fragen oder mit dir über sowas zu reden. Es war der schönste Tag meines Lebens. Alles war so perfekt, vom Abholen bis hin zu unserem Kuss am See, der hundert Meter entfernt von der Location lag. Auch als du mich vor meinem Haus abgeliefert hast und mich in deine Arme geschlossen hast...

Oder eher "unsere Haustür"...

Nach weiteren fünf Jahren hast du mir dann einen Antrag gemacht, den ich natürlich mit "Ja" beantwortete. Ich konnte mir einfach nicht mehr vorstellen ohne dich zu leben.... "Konnte"...

Vor vier Jahren bekamst du dann die Hiobsbotschaft: Blutkrebs. Leukämie.

Ab dem Tag fingst du an zu kämpfen, du hast nie aufgegeben, aber irgendwann.. Du warst inzwischen zu einem Wrack deiner Selbst geworden... Irgendwann hast du aber aufgehört. Du hast angefangen all das zu tun, was du schon immer einmal tun wolltest. Und zuletzt waren wir an unserem Lieblingsplatz. Wir waren hier am See. Saßen hier auf der Bank. Auf der Bank unter der Trauerweide, die ihre Äste wie einen Vorhang um die Bank gelegt hat. Hier saßen wir und küssten uns das letzte Mal....

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